Das Coronavirus ist nicht schwarz oder weiß

Egal ob als Titelbild der unzähligen Papiere oder als Aufmacher der Tagesschau, die in dieser Zeit ein fester Bestandteil unseres Abends geworden ist: Das Coronavirus ist vielfarbig. Wir sehen diesen allesbeherrschenden Krisenherd dieser Zeit in unzähligen Abbildungen, ein vielfarbiges Kaleidoskop. Keines der Bilder ist schwarz oder weiß. Umso bemerkenswerter, dass all die tagfüllenden Debatten und Beiträge dieser Zeit so wenige Farben und kaum Zwischentöne kennen. Schwarz oder weiß. Der Schutz von Menschenleben wird wirtschaftlicher Stabilität gegenübergestellt. Freiheitsrechte des Einzelnen der Sicherheit von Allen. Entweder Utopien oder Dystopien für die neue Post-Corona-Welt entworfen. Polarität und Diskussionen über zu bezahlende Preise bestimmen diese Zeit. Maß ist nicht die Maßeinheit der Krise.

Infektionszahlen, Experten-Analysen, Verschwörungstheorien, monothematische Privatgespräche und kontroverse Diskussionen dominieren unseren Alltag.  Es ist verdammt schwer, das eine wie das andere zu verstehen, vielfältige, einander oft widersprechende Anforderungen und Bedürfnisse in den Prozess zu integrieren und doch Entscheidungen treffen zu müssen, die in verschiedenen Dimensionen Abgrenzung schaffen. Und die viele Einzelne in Not bringen, um eine vermeintliche allumfassende Not zu verhindern. Die Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen sind riesig, in vielen Bereichen nicht zu Ende durchdacht und womöglich nicht mal durchdenkbar von Beginn der Krise an. Auch weil der Beginn erst begann als das Problem schon anwesend war.

Von den Folgen der häuslichen Isolation ganz allgemein bis zu den unzähligen singulären Folgeerscheinungen in den verschiedenen strapazierten Branchen, zum Beispiel Luftfahrt, wo Piloten, die -zumindest nach derzeitigen Regularien- erst ihren Pilotenschein erneuern müssen, weil ihnen durch die Stilllegungen die notwendigen Flugstunden fehlen. Bis hin zu der allmächtigen Frage, welchen Preis eine Volkswirtschaft für einen Shutdown bezahlen kann. Wie lange er längstens dauern darf, was man den Menschen nehmen kann, bis die Stimmung kippt.

Bei all den bislang unbeantworteten Fragen, der viel zu geringen Datenmenge, ist diese Situation ein Paradebeispiel für Strategy under Uncertainty. Das macht die Lage so komplex. Es gibt keine Vergleichbarkeit für diese Krise, keine bewährten Handlungsmuster. Keine politische, ökonomische oder medizinische Lösung. Alles ist miteinander verbunden. Die Expertise hingegen ist in der Regel speziell.

Zugleich ist die Macht der Verantwortungsträger so groß wie vielleicht nie vorher. Die Menschen haben in diesen Tagen eine hohe Bereitschaft regiert zu werden. In der Krise ist die Sehnsucht nach Stabilität und Führungsstärke ein verlässlicher Reflex. Die Volksparteien gewinnen Zustimmung zurück. Eine Wirtschaftskrise, wie wir sie allesamt nie erlebt haben, mit anhaltender Rezession und Arbeitslosigkeit festigt traditionelle Strukturen und Entscheidungsmacht. Themen wie Klimaschutz, Diversity und Inklusion, die Förderung neuer Lebensmodelle laufen Gefahr, wieder in den Hintergrund gedrängt zu werden. Wir erleben es in vielen Gesprächen zu diesen Themen: „Angesichts der Lage ….“.

Wir sind fest davon überzeugt: Das Gegenteil ist richtig. Es ist dringend notwendig immer wieder aufzuzeigen, dass genau das die Chance dieser Krise ist, die so viel mehr als unser alltägliches Verhalten dauerhaft verändern wird. Es ist die Möglichkeit, den Neuanfang einer anderen Gesellschaft aktiv zu gestalten.

Dabei sind insbesondere diejenigen gefordert, die mit neuen Lösungswegen auf bislang ungekannte Herausforderungen zu reagieren imstande sind. Die keine Angst vor dem Verlust von Macht haben, weil Macht nicht der Antrieb ihres Handelns ist. Diejenigen, die Beteiligung und Kooperation leben und Lust daran haben, vielfältige Expertise zusammenzubringen.

Es ist die Chance für eine neue Gleichheit. Sie wird allerdings nur passieren, wenn wir bereit sind die Schubladen des Denkens zu öffnen und unsere Einordnungen zu hinterfragen. Auch und gerade in der Bewältigung dieser Krise, die Grenzen aufbaut, Unterschiede beargwöhnt und Vorurteile verstärkt.

Frauen sind auch in dieser Zeit Gestalterinnen. Nicht nur, weil sie in der Mehrzahl die systemrelevanten sozialen Aufgaben erfüllen. Auch weil sie als Staatschefinnen ihre Länder besonnen durch die Krise navigieren. Norwegen, Dänemark, Island, Deutschland oder Südkorea seien Beispiele für exzellentes Krisenmanagement berichtet das Forbes Magazin gerade und schlussfolgert, wir sollten einfach mehr Frauen an die Spitzen wählen. Ehrlichkeit und Transparenz, Entschlossenheit, Inhaltlichkeit und Empathie seien die benötigten Fähigkeiten dieser Zeit.

Dass diese Eigenschaften wirksame Führungskompetenzen der Zukunft sind ist ebenso eine Realität wie die Erkenntnis, dass sie Frauen selbstverständlicher zur Verfügung stehe. Die Zuschreibung bleibt allzu oft eine andere. In der Sehnsucht nach Führung findet sich, bewusst oder unbewusst noch immer das Bild der männlichen Autorität. Beruhigung durch Lautstärke, Machtdemonstration und Komplexitätsreduktion.

Wir müssen das Wirken, die Bedeutung und die Erfolge der Frauen noch viel häufiger ins Bewusstsein rücken um diese machtvollen Muster aufzulösen. In der Krise. Und in der Zeit danach.

Wir kennen diese Standardsetzungen allzu gut, die Biases: Die Standard-Frau kann nicht sachkundig über Fußball reden, sie kann mit Sicherheit nicht programmieren, hat keine Ahnung von Geld oder Wein und ist entweder eine kalte Karrierefrau oder zu emotional für den Job. Alles allzu oft gehört, immer wieder erlebt. Und leider noch immer so präsent. Auch privat. Die Standard-Familie besteht nicht aus zwei Frauen mit drei Kindern. Nicht in Alltagssituationen und auch nicht digital. Die meisten Buchungsformulare hängen sich dann auf – Error im System.

Biases gab es immer und gibt es nach wie vor bei uns allen. Unser Gehirn benutzt sie als Abkürzung. Das war sinnvoll, als Menschen in millisekundenschnelle entscheiden mussten, vor einem wilden Tier wegzurennen. Aber in einer Zeit, in der es darum geht Entscheidungen über komplexe Sachverhalte zu fällen, müssen wir gegen diese Vorurteile angehen. Weil sie unzeitgemäß sind, weil sie dringend notwendige Entwicklungen verhindern und weil sie Ungerechtigkeit zementieren.

Um uns wirksam mit unseren bewussten und unbewussten Einordnungen auseinanderzusetzen, müssen wir zu allererst unsere Reaktionsmuster verlangsamen, innehalten, reflektieren. „Kind, mach langsam, wenn’s schnell gehen soll“, wussten unsere Großmütter. Es gab keine sozialen Medien, die Welt war noch deutlich sortierter, weniger adhoc getrieben, langsam machen war nichts Störendes, im Gegenteil.

Dieser Großmutter Satz ist heute noch bedeutender geworden. In der rasanten Geschwindigkeit unserer Zeit ist es unabdingbar, wichtige Entscheidungen auf Basis einer profunden Analyse zu treffen und Handlungen im Kontext zu verstehen. Und dazu gehört auch, kein ,,Group-Think“ und der Ausstieg daraus gelingt durch das bewusste Integrieren unterschiedlicher Perspektiven.

Das ist unser Anliegen.

Denken, vordenken, zu Ende denken, Fakten zusammentragen, Daten nutzen, unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Zuhören. Integrieren. Diversity leben. Um besser zu verstehen und richtige Entscheidungen zu treffen.

Handeln mit der Kraft einer Strategie, die auf holistischer Analyse beruht.

Aus dem richtigen Handeln entsteht Wirkung.

Wissend, dass das Denken nie vollständig oder zu Ende ist, dass es Hypothesen hervorbringt, die wir testen, wenn wir handeln, die, wenn sie nicht wie gewünscht wirken, zu neuen Ansätzen führen.

Die Herausforderungen sind riesig: egal ob im Großen, Klima, Migration, Geopolitik, Digitalisierung, oder im Kleineren, in Managemententscheidungen oder Alltagsfragen.

Wir glauben an die großen Linien. An Inhaltlichkeit und Konsequenz, auch wenn sie viel mehr Disziplin erfordern, als die getriebene Reaktion auf das Außen.

Wir glauben an die Notwendigkeit neuer Führungspersönlichkeiten für wirkliche Gleichheit in einer sich rasant verändernden Welt.

Wir wollen Frauen dabei unterstützen, diese Persönlichkeiten zu sein, weil Frauen im Stande sind Systeme zu verändern, die sie nicht geschaffen haben.

Das ist unsere Mission, deshalb haben wir TAE gegründet, deshalb schreiben wir diesen Newsletter an Euch. Wir wollen unsere Gedanken mit Euch teilen, Frauen feiern und zu Engagement aufrufen, dort wo es notwendig ist.

Gerade jetzt, weil nach dieser Krise ein neuer Anfang möglich ist.

Was wir gesehen haben

Artikel und Studien (https://www.unfpa.org/resources/covid-19-gender-lens) die sich dem Thema Frauen und Covid-19 widmen. Noch gibt es nicht viele, aber es gibt sie.

Wie in so vielen Bereichen deckt die derzeitige Krise individuelle Schwächen ebenso wie systemische Missstände auf – schonungslos. In diesem Falle und das ist der eine Aspekt des Themas den wir heute herausstellen wollen, dass die überwiegende Care- oder Fürsorgearbeit von Frauen geleistet wird – egal ob in Kitas, Schulen, Altenheimen, Kliniken, oder ob zu Hause. Es sind Frauen, die diese Arbeiten verrichten. Das ist nicht neu. Der ganze Diskurs um Reproduktionsarbeit von Frauen ist nicht neu „hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau“. Neu ist, dass auf einmal diese Arbeiten systemrelevant geworden sind – ganz offiziell. Und dass jetzt sichtbar wird, dass es Frauen sind, die die Gesellschaft gerade am Laufen halten. Neu ist, dass viele Menschen ganz konkret erleben, was es bedeutet Kinder zu Hause zu betreuen oder dass Grundversorgung von Kassiererinnen abhängt – von den vielen Pflegekräften ganz zu schweigen. Ihre Bedeutung, ihr Wert wird deutlich: Unbezahlbar – und unbezahlt.

Oxfam hat es ausgerechnet (Studie vom Januar https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/oxfams-studie-sozialer-ungleichheit-12-milliarden-stunden-arbeit-ohne-bezahlt):

Frauen und Mädchen leisten weltweit jeden Tag mehr als zwölf Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit. Würde man auch nur den Mindestlohn zahlen, wären das über elf Billionen US-Dollar pro Jahr. Zum Vergleich, Apple ist ein Billion wert.

Die Fakten sind da, die Fakten sind klar. Die zentrale Frage ist, ob sich daran jemand erinnern wird – nach der Krise. Ob wir endlich, endlich (!) zu einer Redefinition des Wertes von Arbeit kommen.

Ob wir als Gesellschaft daran etwas ändern wollen und werden, und zwar systemisch. Also Arbeit anders bewerten, nachhaltig unser gesellschaftliches Miteinander gerechter und sozialer ausgestalten. Oder werden wir es beim abendlichen Klatschen oder der jährlichen Frauentagsrose bzw. dem Muttertagsstrauß belassen?

Wir werden uns weiter dafür einsetzen, das zu ändern. Weil es gerecht ist und weil richtig ist.

statista.com