Über Leadership könne er nun wirklich nicht sprechen, darüber habe er noch nie nachgedacht, beantwortet Jürgen Klopp freundlich und ein bisschen kokett unser Interviewanliegen. Wir haben das Gespräch am nächsten Morgen dennoch geführt. Nicht nur um unsere eigene These zu überprüfen, dass Jürgen Klopp deshalb eine herausragende Führungspersönlichkeit ist, weil er einige weibliche Eigenschaften besitzt. Wir wollten auch besser verstehen, welche Eigenschaften es sind, die einen Fußballtrainer zum Role Model für Führungsfähigkeit machen, weit über den Sport hinaus.

Zukunft zu gestalten heißt Veränderung durch eigenes Engagement, durch Führung herbeizuführen. Dazu gehört auch die Bereitschaft bestehende Systeme und Regeln infrage zu stellen, die Lust daran Verantwortung zu übernehmen und mit dem eigenen Anspruch messbar zu sein. Es gibt immer mehr Menschen, die genau das wollen, die nicht nur Veränderung von anderen einfordern, sondern sich selbst und ihre Zeit zur Verfügung stellen, diese zu erwirken. Häufig sind es Frauen. Doch wie kann es gehen? Wer entwirft den Masterplan? Oder genügt die Kraft der Ideen? Aus der Not, die aus den Krisen erwächst? Oder ist es die Überzeugungskraft von Führungspersönlichkeiten, die es schaffen, Menschen hinter sich zu versammeln?

Jürgen Klopp mochte dann doch über Leadership sprechen. Denn auch wenn er sich selten Gedanken darüber macht, “ist es dann doch 24 Stunden am Tag das alles entscheidende Thema“.

Deshalb haben wir nachgefragt zu seinem speziellen Führungsstil, zu Diversität und nach den Menschen, die er bewundert.  Es war ein außergewöhnlich authentisches, offenes und an vielen Stellen lustiges Gespräch, weshalb wir auch einige Ausschnitte mit euch teilen wollen:

Auf die Frage, ob es richtig ist, seinen Führungsstil als weiblich zu bezeichnen, oder ob er sich seiner weiblichen Seite bewusst ist, war die Antwort ebenso klar wie kurz „100%“.

Kernelement guter Führung: Menschen lieben

Für Jürgen Klopp dreht sich bei Führung alles um die zu Führenden: “Es geht mir nicht um mich, mich interessieren die Menschen, und mir sind alle Themen dieser Menschen wichtig. Wirklich alle.“ Dieses genuine Interesse am Gegenüber spüren auch wir im Gespräch, es ist gewinnend, es stellt Augenhöhe her, es lässt Gemeinsames entstehen. Jürgen Klopp ruht dabei in sich, „meine Stärke ist mein Selbstvertrauen und meine Unabhängigkeit, … total selbstbewusst, ohne sich zu wichtig zu nehmen.“ Er sucht die Nähe zu seinen Spielern, er braucht keine Distanz zu schaffen, um Autorität herzustellen und Macht zu demonstrieren. Er zeigt seine Gefühle und lädt andere damit zu ebensolcher Offenheit ein.

Auch wenn sich alles bei Jürgen Klopp um den Menschen dreht, ist ihm bewusst, dass seine Spieler ihm nur dann dauerhaft Vertrauen schenken, wenn er sie fachlich überzeugt. Wenn sie sich darauf verlassen können, dass er die richtigen Lösungen findet und sie damit bestmöglich auf ihrer Aufgabe vorbereitet. Erfahrung und Fachlichkeit sind seine zweite wichtige Säule in Menschenführung. Denn: „Nähe zu den Menschen ist nur dann belastbar, wenn du die richtigen Antworten hast“.

Dabei geht es nicht, darum „alles zu können, kann ich auch nicht“, sondern das richtige Team aufzustellen und genug von den verschiedenen Aufgaben zu verstehen, um die richtigen Fragen stellen zu können, dem jeweiligen Experten ein Gegenüber zu sein.

Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Form der kritischen Reflexion der eigenen Fähigkeiten und Rolle elementar wichtig ist, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Viele Studien zeigen es und aus unseren eigenen beruflichen Erfahrungen kennen wir es vermutlich alle: Männer heben schnell die Hand und sagen klar, kann ich, überschätzen sich dabei allerdings oft. Frauen sind abwägender, viel selbstkritischer – und dadurch besser im Umgang mit Risiken[1]. Auch deshalb ist es nicht verwunderlich, dass gerade in diesen schwierigen Corona-Zeiten Frauen ihre Länder besser durch die Krise geführt haben.

Diversity – Fußball sollte seine Vorbildfunktion viel stärker leben

Selbstverständlich haben wir auch über Diversity gesprochen. Für Jürgen „im Fußball kein Thema“, „die Kabine ist der natürlichste diverse Ort überhaupt“. Und weil es so ist, weil so viele unterschiedliche Menschen, mit so verschiedenen Herkunftsgeschichten und Temperamenten zusammenkommen und ein Team bilden, genau deshalb könnte der Fußball so kraftvoll zeigen, welche Kraft Diversität hat. Punkt.

Frauen als Führungskräfte

Dass Frauen für die zukünftigen Anforderungen die besseren Führungskräfte sind, weil „ihr einfach generell schlauer seid, meine Frau macht alles, ich kann genau das, was ich mache, also diesen Fußballkram. Ihr seid Multitasking den ganzen Tag“, sagt er so nebenbei, als sei es längst allerorts Konsens. „Die Welt ist einfach komplexer geworden, so dass viel mehr Themen und Anforderungen im Blick gehalten werden müssen.“ Frauen seien viel sensibler. “Euch ist nichts egal; das ist eine Grundvoraussetzung, dass einem die Dinge wichtig sind, wenn man entscheiden muss. Das ist bei Männern zu oft nicht der Fall.“

Und dass Frauen imstande sind, Systeme zu verändern, die niemals von denjenigen verändert werden, die sie geschaffen haben, das findet er auch. „Das habe ich in einem Text von euch gelesen, das fand ich so stark, ich war sicher, das muss von mir sein….“.

Wen Jürgen Klopp bewundert

Konsequent erscheint, dass Jürgen gefragt nach einer Frau, die er bewundert, neben seiner Frau Ulla, die im Laufe des Interviews immer wieder vorkommt, als Instanz, als Partnerin, als Frau, um die er sich sorgt, bei der er gerade sein möchte, weil sie erkältet ist, die Kanzlerin nennt: „Angela Merkel ist beeindruckend – aus dem Ausland betrachtet nochmal mehr. Es ist ein Segen, dass wir diese Frau haben, gerade in dieser schwierigen Welt.“

Was wir gesehen haben

Viele Bücher, die gerade erscheinen zum Thema Veränderung in Deutschland. Darunter auch Verenas kraftvolles Manifest „Das neue Land“, das den Mut hat, konkret zu werden. Auch zahlreiche weitere Bücher, die Ideen vorstellen, wie es anders gehen könnte, die aufrufen, sich einzusetzen für Veränderung. Das Thema Diversity, Frauen in Führung ist dabei stets ein Element. Weil diverse Teams bessere Ergebnisse liefern und weil alles andere ungerecht ist.

Und neue Studien, zum Beispiel die frustrierende neue Allbright Studie (https://www.allbright-stiftung.de/allbright-berichte),  die mal wieder schonungslos offenlegt, dass wir eben nicht vorwärts kommen beim Thema Frauen in Vorständen, sondern rückwärtsgehen.

Und zahlreichen Initiativen[2], zum Beispiel der Fidar-Aufruf, der gerade über Twitter Druck machen will auf das Thema Quote für Aufsichtsräte und auch für Vorstände.

Und Gespräche mit Einzelpersonen, die sich einbringen wollen, die Kraft haben und Fähigkeiten, die heutigen und die kommenden Herausforderungen anzugehen.

Das alles ist wundervoll und es ist richtig – es ist die Zeit für Veränderung.

Wir sind mehr – und wir sind dann besonders kraftvoll, wenn wir uns zusammentun. Es geht nicht um Exklusivität, es geht um Wirkung. Wenn wir jetzt all diese Kräfte bündeln, sind wir mehr.

Was denkt ihr dazu? Schreibt uns Eure Gedanken und Ideen – wie können wir eine moderne, eine agile, eine innovative Form finden, Kräfte zu bündeln?

[1] Eine Studie der Leeds Universität mit rund 17.000 untersuchten Unternehmen zeigt dass die Firmen, die wenigstens eine Frau als Boardmitglied haben, ihr Risiko eines Bankrotts um 20% verringern.

[2] Zwei davon haben wir selber mit angeschoben:

Bundespresskonferenz: Führungspositionsgesetz: „Muss die Frauenquote her?“:

https://www.ardmediathek.de/ard/video/phoenix-vor-ort-fuehrungspositionsgesetz-muss-die-frauenquote her/phoenix/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLWM5YTgxNjE5LTgzOGMtNGRlMC05OTRmLWIyNzJhNTdlNWZjMA/

Querwechsler-Netzwerk: Digitaler Networking-Event für Menschen, die den Querwechsel anstreben:

https://querwechsler-netzwerk.de/querwechslerderzukunft/