Corona ist längst nicht verschwunden und doch nicht mehr alles dominierend. Das macht bedeutende Ereignisse wieder zu mehr als einer Randnotiz. Wir nehmen Wesentliches wieder als Wesentliches wahr. Wahlen in anderen Ländern, die erste schwarze Frau als mögliche Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, die verheerende Katastrophe in Beirut und ihre Auswirkungen, auch Literaturpreise, oder die triumphale Meisterschaft des FC Liverpool.
Und es öffnet sich der Blick für die vielen Probleme unserer Zeit: Allen voran die völlig veränderte geopolitische Lage. Das Ende der Globalisierung wie wir sie kennen. Der verschärfte Konflikt zwischen den USA und China. Corona hat uns einen Vorgeschmack auf bevorstehende globale Krisen gegeben und auch bislang unverhandelbare Aspekte unserer Lebensweise infrage gestellt oder neu determiniert. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir umsteuern müssen, insbesondere in Bezug auf große geopolitische und makroökonomische Fragen wie das Klima und unsere natürlichen Ressourcen und auch in unserem Umgang mit den unerträglichen Ungleichheiten dieser Zeit.
Ob es gelingt, diese Anforderungen zu bewältigen und aus den Erfahrungen der Krise eine positive Zukunft zu entwickeln, hängt davon ab, ob wir das Verantwortungsbewusstsein und die Kraft haben, tatsächlich zu gestalten.
Führung macht dabei den Unterschied. Moderne Führung. Menschen für Ziele zu begeistern, ihren Beitrag sichtbar zu machen und wertzuschätzen. Teams zu formen, die durch unterschiedliche Fähigkeiten und Herangehensweisen erfolgreich sind. Dafür braucht es Führungskräfte, die nicht nur die Kompetenz dazu, sondern auch Lust daran haben, neue Wege zu suchen, um Lösungen für neue Aufgabenstellungen zu finden.
Solche Führungskräfte sind heute Frauen. In dieser Krise, einer bis dahin unbekannten globalen Bedrohung, haben vor allem Staatslenkerinnen ihre Länder mit Besonnenheit und Pragmatismus verantwortungsvoll navigiert und noch schlimmere Schäden verhindert.
Frauen fällt es leichter, bestehende Systeme und Ungerechtigkeiten zu verändern, weil sie sich diese nicht ausgedacht haben. Weil sie ihnen keine Macht sichern. Und weil sie aufgrund ihrer Sozialisation Eigenschaften mitbringen, die es jetzt dringend braucht: Sachlichkeit, Empathie, Risikobewertung, Effizienz und Kommunikationsfähigkeit.
Jürgen Klopp ist nachweislich keine Frau. Doch hat er mit seiner Art zu führen in den vergangenen Jahren Maßstäbe gesetzt. Nicht nur für das Fußballgeschäft. Die Führungsphilosophie mit der Jürgen Klopp den FC Liverpool zum Champions League Sieg und zur englischen Meisterschaft nach langen 30 Jahren geführt hat, ist beispielhaft für diese Zeit.
Es ist eine Kombination aus klarem Ziel und Strategie, Intuition, systematischem Vorgehen und einem glaubwürdigen Führungsstil.
Bevor Jürgen Klopp in Liverpool begonnen hat, hat er sich systematisch vorbereitet: die Mannschaft, den Verein studiert, Englisch gelernt, den ersten Auftritt geplant. Er hat sich ein Büro in der Geschäftsstelle des Vereins erbeten, um alle Abläufe des Vereins kennenzulernen, um sich auch mit dem Ticketverkäufer, oder der IT Verantwortlichen gemein zu machen. Seine Selbstbeschreibung „I am the normal one“ ist inzwischen zum Leitbild des traditionsreichen Clubs geworden.
Selbstverortung, die richtige Bewertung der eigenen Fähigkeiten, ist das Fundament erfolgreichen Führens. Bei Jürgen Klopp führt es dazu, sich mit den besten Experten zu umgeben und sie wirken zu lassen, eine Mannschaft aufzubauen, die den Fußball spielt, den er am besten lehren kann. Ein Mosaik, sorgsam zusammengesetzt.
Der fünfjährige Weg zum Meistertitel als iterativer Prozess. Immer auf Basis einer präzisen Analyse der Schwach- und Leerstellen. Auch der eigenen. Die Konsequenz, harte Entscheidungen zu treffen und das Gefühl für die Auswirkungen. Immer das Gesamtbild vor Augen: die passenden Spieler, die richtigen Menschen, das perfekte Zusammenspiel. Auf diese Weise ist eine nahezu unschlagbare Mannschaft entstanden. Eine, die Unmögliches zu leisten imstande ist. Eine Mannschaft spielt so, wie der Trainer ist. Und ein Team wächst über sich hinaus, wenn es der Führungskraft vertraut.
Jürgen Klopp hat es geschafft, dieses Vertrauen bei dreißig Sportlern aus siebzehn verschiedenen Nationen mit ganz eigenen Zielen zu erzeugen. Er hat ihnen vermittelt, wie wertvoll ihre Unterschiedlichkeit sein kann und wie sehr sie von der Kompetenz ihres Mitspielers profitieren.
Er hat sie mit seiner Leidenschaft angesteckt, durch Rückschläge geführt und weiterentwickelt – mit Respekt, mit Sachlichkeit und vor allem mit Liebe. Weitsichtig und irgendwie auch weiblich.
Ganz und gar normal. Das macht ihn so besonders.
Insofern freuen wir uns über beides, weil beides hilft ein positive Zukunft zu gestalten: mehr Männer wie Jürgen Klopp. Und mehr Frauen in Führung.
Was wir gesehen haben
Die beeindruckenden Frauen des SSC Bergisch Gladbach, die das „Wunder von Taipeh“ geschaffen haben, die 1981 als Vereinsmannschaft bei der Frauenfußball WM in Taiwan angetreten sind und Weltmeisterinnen wurden.
Es ist eine Geschichte von Pionierinnen, die sich über Widerstände und Vorurteile hinwegsetzten, um das zu tun, was ihnen am wichtigsten war: Fußball spielen.
Es ist die Geschichte von Opferbereitschaft und Kameradinnenschaft, von der Liebe zum Spiel und der Lust am Erfolg, auch wenn er keine öffentliche Beachtung findet. Es ist aber auch die Geschichte einer Männergesellschaft, die sich herausnahm zu entscheiden, was für Frauen angemessen ist und was Ihnen, den Männern, alleine gehört. Wie der deutsche Fußballbund, der auch elf Jahre, nachdem das „Fußballspiel für Damen“ offiziell erlaubt wurde, nur eine Nationalmannschaft kannte, die Deutschland würdig repräsentieren konnte.
Das Besondere an diesem Film, den der Regisseur auf eigenes Risiko realisierte, ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Spielerinnen ihr Recht nahmen. Den Auftrag, den sie nicht bekommen haben, haben sie so nonchalant erfüllt, wie ihn nur Heldinnen zu erfüllen vermögen. Die Insignien eines WM-Triumphes blieben ihnen allesamt verwehrt, aber die lebenslange Kraft eines einzigartigen Erfolges strahlt noch immer aus ihnen, wenn sie von diesen „Wochen ihres Lebens“ erzählen.
Und doch wird auch die Verletzung sichtbar, die die mangelnde Würdigung bis heute hinterlassen hat. Womöglich haben die Gespräche mit dem Regisseur diese Verletzung wieder oder erstmals spürbar gemacht.
Es gab die Chance für den DFB durch die Unterstützung dieser Dokumentation Versäumtes gut zu machen. Es war eine Aufforderung, ohne Groll, die bisher ausgelassen wurde.
Der neue DFB Präsident Fritz Keller hat Gleichheit und die Förderung von Frauen zu einem wichtigen Thema erklärt.
Die Würdigung der wundervollen Weltmeisterinnen der SSG Bergisch Gladbach wäre ein wichtiges Zeichen.