„Fearless Girl“, (Foto: AP)

Wir haben lange kein Blog geschrieben, seit Dezember nicht mehr, um präzise zu sein. Das heißt nicht, dass seither nichts passiert ist, oder wir uns nicht geäußert haben. Im Gegenteil. Frauenquote +,,FüPoG 2“, Ich will, Datenstrategie, Geopolitik, Fußball kann mehr, VW …

Über die vielen Ereignisse dieser vergangenen Monate reflektierend, Erkenntnisse zusammenführend, Kontexte herstellend, kommen wir wieder mal zu der Frage, die uns so sehr beschäftigt: Wie gelingt notwendige Veränderung? Wie können vorhandene Strukturen entwickelt werden, um den Herausforderungen dieser Zeit gerecht zu werden? Wie erhöhen wir Geschwindigkeit und erweitern den Handlungsrahmen?

Am Anfang aller Veränderungsanforderungen steht die Kultur. Wir brauchen eine neu Denk-, Arbeits- und Führungskultur, die es ermöglicht, das Neue zu fördern und nicht das Alte zu manifestieren. Zu viele Unternehmen und Institutionen sind geprägt von starren Hierarchien, die nicht auf Kompetenz basieren, sondern auf Status. Die nicht souverän sind, nicht durchlässig, nicht offen, nicht inklusiv, sondern hermetisch abgeschlossen.

Diese Hierarchien sind nicht nur entwicklungshemmend, weil sie zu langsam sind, weil sie auf Abarbeiten und Bewahren statt auf Entwickeln ausgelegt sind, sondern sie begünstigen vor allem den persönlichen Machterhalt, sie erlauben, dass Machtpolitik dominant und allzu häufig erfolgreich ist.

Ich hatte große Lust an der Idee, gemeinsam mit den zukunftsorientierten Menschen bei VW eine digitale Transformation und damit auch einen Kulturwandel umzusetzen. Lange, tiefinhaltliche Gespräche in einem mehrwöchigen Prozess haben mich noch mal mehr für die Sache begeistert. Nicht geschockt haben mich dabei die unzählige Geschichten über „die spezielle VW-Kultur“, „die hochpolitische Struktur in Wolfsburg“.  Was mir allerdings wieder mal bewusst wurde, ist, wie viel Energie in großen, gewachsenen Organisationen verwendet wird, um machterhaltende Strukturen abzusichern, als sich mit aller Kraft den notwendigen Veränderungen zu stellen.

Macht, Machterhalt, … darum geht es auch im Fussball. Veränderungsverhinderer werden gestärkt durch intransparente Governance-Konstrukte. Anders als auf der so bedeutenden Position des Trainers, wo rasant Personalentscheidungen und Spielphilosophien über den Haufen geworfen werden, sind Funktionäre offenkundig über ihre Ergebnisse und Gesamtbilanzen erhaben. Seit zehn Jahren ist es mir ein Anliegen in einer veränderungsaversen Branche für Erneuerung zu streiten. Für die Anerkennung von Kompetenzen, die nicht auf dem Fußballplatz erworben wurden, für Frauen in Führung und Diversität. Jetzt gerade öffnet sich ein Veränderungsfenster, begünstigt durch die krude Führungskonstellation des größten Sportverbandes der Welt, des DFB.  In dieser eklatanten Glaubwürdigkeitskrise findet die Vorstellung, eine Frau sollte fortan den Verband führen, lautstarke Zustimmung.  Ob das einer Überzeugung folgt, die nun eine nachhaltige Entwicklung einleitet, oder nur ein verheißungsvoller Reflex bleibt, hängt von der Bereitschaft derjenigen ab, die die Krise verursacht haben, die Erneuerung unbelasteten Menschen zu überlassen. Solchen Menschen, die Lust haben, das Spiel wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Und zwar nicht in einem traditionellen, sondern in einem zukunftsgerichteten Sinne. Mit Haltung, die Vertrauen ermöglicht. Und mit Spielfreude. Denn Fußball kann mehr, glauben wir. Mehr als die aktuell handelnden Personen allemal. Aber auch mehr, als eine einzige Präsidentin schaffen könnte.

Die satzungsgemäße Hierarchie bzw. die Corporate Governance Strukturen lassen ein Weiter so zu. Aber was ist mit dem Gewissen der Handelnden? Was ist mit der Verantwortung für die Sache?

Hierarchien sind nicht per se schlecht oder aufzulösen, im Gegenteil, sie sind in vielen Fällen notwendig, insbesondere dann, wenn unterschiedliche Teilaspekte zusammenzuführen sind, gegeneinander abzuwägen, im Portfolio zu betrachten und mit dem Gesamtblick zu entscheiden. Dann sind Verantwortungshierarchien ein notwendiges Organisationsprinzip. Hierarchien können helfen zu sortieren, Bezüge klar zu machen, Komplexität zu reduzieren. Aber Hierarchien zum Machterhalt, zur Demonstration des „weil ich es kann“? Und Hierarchien in der Problemlösung, Hierarchie als Führungsprinzip, das ist vermutlich nie wirklich adäquat gewesen. Und doch besteht sie bis heute, wie ein Symbol einer (Führungs-)Kultur, die sich jeder notwendiger Veränderung in den Weg stellt. Allein deshalb, weil jede Form der agilen, der inklusiven, der kompetenzbasierten Kultur ihr Ende wäre. Und dieser Machtverlust ist gefährlich – deshalb wird er auch mit allen Mitteln bekämpft.

Zum Aufbrechen der überkommenden Hierarchieglaubensätze gehört es auch, dass Führung nicht teilbar ist. Es kann nur (den) einen geben. Doppelspitzen funktionieren nicht, führen bestenfalls zu einem schlechten Kompromiss, meistens zu Streitereien, Widersprüchen, Stillstand. Die Bereicherung, die darin liegt, eine bessere Lösung zu finden, weil sie unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt-, weil komplementäre Fähigkeiten zu einem größeren Ganzen werden. Und auch in der Möglichkeit Führungspositionen nicht zwangsläufig zu 60 Stundenjobs werden zu lassen und andere Lebensaspekte damit in den Hintergrund zu drängen. Das verhindert die Nahbarkeit und Alltagsverbundenheit, und auch das Mitgefühl, das wir dann bei Führungskräften häufig vermissen.