In diesen entscheidenden Wochen vor der weichenstellendenden Bundestagswahl werden in verschiedenen Kreisen und Köpfen jede Menge Gedanken und Papiere produziert, wie zukünftige Ministerien aussehen sollen. Insbesondere das neu entstehende Digitalministerium ist Gegenstand vieler Gespräche.

Wir haben uns gefragt, ob jetzt nicht die Zeit ist größer zu denken. In diesem Jahr, in dem es auf jeden Fall einen Neuanfang geben wird – und damit die Chance auf systemische Veränderung.

Die entscheidenden Fragen sind:

WAS: Welche Ressorts braucht es eigentlich?

WIE: Wie sollte die zukünftige Bundesregierung arbeiten?

WER: Personal, Personal, Personal!

Die Ministerien – eine träge Konstante

Viele der Ressorts sind „historisch gewachsen“, Zuschnitte wurden verändert, oft um Personen oder besondere Interessen herum. So hat die CSU das Innenministerium um die Abteilung „Heimat“ erweitert.

Die Frage ist: machen diese Zuständigkeiten noch immer Sinn? Berücksichtigen sie hinreichend aktuelle Trends und zukünftige Veränderungen in der Welt? Immer mehr Industrien konvergieren, neue sind entstanden, Unternehmen entwerfen entsprechende Verantwortlichkeiten und Rollenzuschnitte – doch die Grundstruktur der Ministerien sind im Wesentlichen eine zeitlose oder eher träge Konstante.

Wir leben in einem geopolitischen Zeitalter, das geprägt ist durch den Wettstreit um die Weltherrschaft zwischen USA und China, die immer mehr extraterretoriale Maßnahmen ergreifen, also Technologie- und Industriepolitik außerhalb des eigenen Landes gezielt und strategisch einsetzen. Die neue Seidenstraße auf der chinesischen Seite oder Standardisierungsinitiativen wie Open-RAN auf der anderen Seite. Wie reagiert Deutschland darauf? Müssten wir nicht überlegen unsere Entwicklungspolitik (also BMZ) zu verknüpfen mit Industriepolitik (also BMWi) oder zumindest mit der Außenpolitik (also AA), damit wir strategische Ziele auch mit Nachdruck verfolgen können?

Muss nicht der Zuschnitt zwischen Umwelt – Wirtschaft – Innovation komplett neu gedacht werden, wenn wir davon ausgehen, dass wir dringend neue Technologien brauchen, um die Wirtschaft zu dekarbonisieren, die wiederum dann auch Exportschlager werden könnten?

Wenn Bildung, lebenslanges vernetztes Lernen, der Umgang mit Daten und Informationen einer der elementaren Erfolgsfaktoren der digitalen Transformation und unserer Zukunft ist, sollte es dann nicht verbunden werden mit den Themen Arbeit und Familie – oder zumindest Teilen davon?

Und was ist mit anderen neuen Themen, die unsere Gesellschaft prägen? Wenn Migration, Integration, Zuwanderung so zentrale Themen sind, brauchen Sie nicht ein eigenes Haus? Oder auch, wie in England, das Thema Einsamkeit oder vielleicht positiver: Miteinander?

Ja, jede Reorganisation löst Probleme und schafft Neue. Und ja, jede Reorganisation frisst Ressourcen und erzeugt Reibung. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, in Anbetracht aktueller Aufgaben wie Klimakrise, Digitale Transformation, geopolitische Fragmentierung alles beim Alten zu lassen. Es braucht die Beantwortung zukunftsgestaltender Fragestellungen: Was ist unsere Gesamtstrategie? Was will die kommende Bundesregierung erreichen? Und wer sind die Menschen, die die notwendigen Fähigkeiten haben?

Wir glauben nicht, dass Verwalten oder Bewahren ausreicht, um die komplexen Herausforderungen zu lösen vor denen wir stehen. Es geht jetzt darum die Strategie festzulegen. So hängt also auch der Zuschnitt des Digitalministeriums sehr stark von der Gesamtaufstellung der Bundesregierung ab.

Regieren nach Start-up Prinzip

Auf jeden Fall wird die neue Bundesregierung anders arbeiten müssen, innovativer, agiler, und vor allem: miteinander, über Häuser hinweg, gemeinsam an klar formulierten und definierten Zielen! Den Ministerien ist heute ressortübergreifende Zusammenarbeit weitgehend fremd. Formal gilt das Ressortprinzip und kulturell das Silo. Projektarbeit, Matrixdenken sind unbequem oder vielen sogar zuwider. Aber es hilft nichts – selbst wenn durch einen der gesellschaftlich- und geopolitisch angepassten Zuschnitt der Häuser die richtigen Themen in den Fokus gerückt werden, bleiben viele Zusammenhänge bestehen. Und Superministerien sind nicht die Antwort. – WARUM? Digitalisierung muss mit Innovation zusammen gedacht werden, das wiederum mit dem Umbau der Arbeitswelt und das wiederum mit Wirtschaft. Es braucht also mehr übergreifende Ziele, an denen die verschiedenen Häuser im Sinne der Sache miteinander arbeiten. Dafür braucht es neue Formate und Plattformen. Und eine neue Kooperationskultur.

Denn das ist das WIE, mit modernen, agilen Arbeitsmethoden. Das Start-up Prinzip für Ministerien wie Bildungsexpertin und Unternehmerin Verena Pausder das nennt.

Das alles ist eine notwendige und zukunftsorientierte Ergänzung der klassischen Verwaltungsarbeit- sie hat ihre Stärken. Aber die Kombination macht es eben: Tiefe Expertise und Erfahrung, frische Herangehensweisen und Fast Failure.

Personal, Personal, Personal

Damit das gelingt, wird es neue Leute brauchen. Zusätzliche Kompetenzen, tiefe Kenntnisse in Digitalisierung, in Technologien, in modernen Arbeitsweisen. Üblicherweise werden Ministerien nach Proporz verteilt – Bundesländer, Gender, etc. Expertise ist dabei hilfreich, aber wird nicht zur Bedingung einer Berufung gemacht. Aber käme man auf die Idee, einen Vorstand nach regionalem Proporz oder ohne Überprüfung der bisherigen Erfolge und Expertise zu besetzen? Zumindest in den meisten Industrien (wir haben ja schon mehrfach über Strukturen im Fußball geschrieben, aber steht heute nicht im Fokus) ist das überwunden – die Schäden waren ansonsten nicht tolerabel.

Neben der inhaltlichen Expertise ist es vor allem erstaunlich, dass so gar keine Führungserfahrung als qualifizierend betrachtet wird, zum Beispiel die Erfahrung mit Governance oder Performance Management. Aber es gibt ja auch keine Ziele, an denen gemessen wird. Menschen von außen wird es auch deshalb leichter fallen, existierende Strukturen und Arbeitsweisen zu verändern, weil sie sie nicht etabliert haben.

Wir glauben fest, es braucht JETZT einen neuen Zugang zum Regieren, die Herausforderungen sind zu drängend und zu relevant für unsere Zukunft.